Wer in diesen Tagen durch die Fernsehwerbung zappt, könnte meinen: Frauen haben ihren Platz gefunden. Sie sprechen als Expertinnen über Finanzen, präsentieren souverän das neueste Technikprodukt und treten mit natürlicher Ausstrahlung auf. Und tatsächlich: Die Darstellung von Frauen hat sich verändert – wie eine neue Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) belegt. Doch der Fortschritt hat Grenzen. Und diese verlaufen – einmal mehr – entlang der Altersgrenze von 45 Jahren.
Frauen heute: selbstbewusst, kompetent – und jung
Die Analyse von 350 TV-Spots aus den Jahren 2016 und 2024 zeigt: Frauen werden heute seltener auf ihr Äußeres reduziert. Der Anteil klassisch inszenierter Schönheitsideale (helle Haut, lange Haare, schlanke Figur) sank von 73 % auf 58 %, auch perfekt retuschierte Werbegesichter sind rückläufig. Stattdessen zeigt sich ein Trend zu mehr Natürlichkeit und Nahbarkeit – ein Fortschritt, der auch in der Wirtschaftskommunikation und im Marketing diskutiert wird. Besonders auffällig: Immer mehr Frauen werden als Fachfrauen oder Entscheidungsträgerinnen gezeigt, gerade in Bereichen wie Finanzen oder Telekommunikation.
Der blinde Fleck: Frauen über 45
Doch während Diversität in Hautfarbe, Stil und Beruflichkeit langsam Einzug hält, bleibt eine Gruppe fast unsichtbar: Frauen ab der Lebensmitte. Zwar ist ihr Anteil in TV-Werbung leicht gestiegen – von 10,5 % auf 15,5 % – doch gemessen an ihrem Anteil an der Gesellschaft ist das verschwindend gering. „Die Fernsehwerbung spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen, hinkt dem demografischen Wandel aber oft hinterher“, bringt es Studienautorin Merle Matthies auf den Punkt.
Das hat Folgen: Nicht nur bleiben ältere Frauen in der medialen Repräsentation unterbelichtet – es entsteht auch ein normatives Bild davon, wie eine „sichtbare“ Frau auszusehen hat: jung, fit, attraktiv. Wer nicht (mehr) in dieses Raster passt, kommt schlicht nicht vor. Das ist problematisch – insbesondere in einem Land mit einer alternden Bevölkerung und einer wachsenden Zahl beruflich aktiver Frauen über 50.
Branchen im Vergleich: Finanzwelt progressiv, Lebensmittel klassisch
Wie unterschiedlich Werbung mit Rollenbildern umgeht, zeigt sich im Branchenvergleich. Während Spots aus der Finanz- und Telekommunikationsbranche zunehmend Frauen in aktiven, beruflichen Rollen zeigen, bleibt das Rollenbild in der Lebensmittelwerbung überraschend konservativ. Hier dominiert noch immer die Darstellung der fürsorglichen Mutter oder fleißigen Hausfrau.
Ebenfalls ernüchternd: In der Kosmetikbranche liegt der Anteil sexualisierter Darstellungen nach wie vor bei 24 % – ein deutlich höherer Wert als in anderen Bereichen. Das zeigt: Auch wenn der allgemeine Anteil sexistischer Inhalte in der TV-Werbung zurückgegangen ist (von 18 % auf 7 %), sind bestimmte Stereotype besonders hartnäckig.
Warum das Thema auch für Bildung und Gesellschaft wichtig ist
Die Repräsentation von Frauen in der Werbung ist mehr als ein mediales Randthema – sie beeinflusst, wie wir Geschlechterrollen wahrnehmen und was wir für „normal“ halten. Für Kinder und Jugendliche – und damit auch für Bildungsarbeit – ist das besonders relevant. Werbung vermittelt Botschaften, oft subtil, aber wirksam: Wer darf stark sein? Wer darf alt sein? Wer darf sichtbar sein?
Für Bildungsakteure heißt das: Medienkompetenz muss auch Geschlechterbilder kritisch hinterfragen. Gleichzeitig braucht es Vorbilder jenseits von Werbeidealen – in Schule, Beruf und Öffentlichkeit. Denn Sichtbarkeit ist eine Frage von Teilhabe.
Fortschritt mit Schatten
Die neue Studie aus Berlin zeigt: Die Werbewelt bewegt sich – aber sie bleibt selektiv. Frauen werden heute vielfältiger dargestellt als noch vor acht Jahren. Doch das Bild bleibt lückenhaft – besonders dann, wenn Frauen nicht mehr jung sind. Es ist an der Zeit, dass Werbung den gesamten Lebensverlauf von Frauen abbildet – und damit auch die Realität der Menschen, für die sie gemacht ist.
Oder um es mit den Worten von Prof. Dr. Andreas Baetzgen, dem Studienleiter, zu sagen: „Unternehmen, die sich hier als Vorreiter positionieren, können nicht nur gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, sondern auch wirtschaftlich profitieren.“
Weiterdenken:
Wie erleben Frauen über 45 ihre Darstellung in den Medien?
Wie können Bildungsinstitutionen ein realistischeres Frauenbild fördern?
Und: Wie viel Macht hat Werbung wirklich?
Quelle: HTW Berlin, Studie zu Frauenbildern in der TV-Werbung 2016–2024 (veröffentlicht am 13. Mai 2025).