Geschlossene Schulen, Wechselunterricht: Deutschland ist bei einem neuen OECD-Bildungsvergleich zu Beeinträchtigungen des Schulbetriebs während der Corona-Pandemie auf dem vorletzten Platz gelandet. Das Versäumte wieder aufzuholen, sei eine der größten Herausforderungen im deutschen Bildungssystem, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie.
Während der pandemiebedingten Schulschließungen konnten Kinder mit Förderbedarf schlechter lernen als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Bestehende Benachteiligungen wurden so weiter verschärft, sagt das RWI-Leibnitz-Institut der Wirtschaftsforschung. Teilweise haben wir diese Erfahrung auch in der Beruflichen Orientierung gemacht. Seit Corona führen wir analoge und virtuelle Angebote für Schülerinnen und Schüler durch. Programme in Brennpunktschulen allerdings bewähren sich bei uns fast ausnahmslos nur analog – auch weil es immer noch Schülerinnen und Schüler gibt, die weder über einen PC, noch über ein Smartphone verfügen.
Inklusiv beschulte Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen haben während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 ungünstigere Lernbedingungen erlebt als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne solche besonderen Bedarfe. Gleichzeitig aber haben die Kinder, unabhängig von Förderbedarfen, die Zeit der Schulschließung sehr unterschiedlich wahrgenommen. Das geht aus der Auswertung einer Befragung von fast 2.000 Kindern der Klassenstufen 7 und 8 hervor. Die Befragung wurde als Teil der schulbezogenen Inklusionsstudie INSIDE durchgeführt, die unter anderem am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) beheimatet ist.
Die Bedingungen für das Lernen zuhause während der ersten Schulschließung waren für Schülerinnen und Schüler von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen geprägt. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass sich bestehende Benachteiligungen durch die Schulschließungen weiter verschärft haben. Eine Gruppe ist dabei besonders betroffen, jedoch weitgehend aus dem Blickfeld geraten: Zur Situation von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen liegen bislang nur wenig empirische Befunde vor. Diese Lücke will das Projekt INSIDE (Inklusion in und nach der Sekundarstufe) verringern. Die Forscherinnen Dr. Cornelia Gresch von der Humboldt-Universität zu Berlin und Dr. Monja Schmitt vom LIfBi in Bamberg gehen in einer aktuellen Auswertung der Frage nach, welche Unterschiede es während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 beim Lernen und Wohlbefinden zwischen Schulkindern mit und ohne Förderbedarfe gab. Die Daten dafür liefern Selbsteinschätzungen von 1.939 Kindern, die im Rahmen der regulären Erhebungen der Langzeitstudie INSIDE im Herbst 2020 erfragt wurden. 13 Prozent dieser Kinder hatten sonderpädagogische Förderbedarfe.
Präsenzunterricht ermöglicht Teilhabe
Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarfen weisen zu Hause häufig eher ungünstige Lernvoraussetzungen auf. Für sie ist das Fehlen von Präsenzunterricht besonders folgenreich, denn die Teilhabe an Bildungsangeboten wird ihnen dadurch erschwert. Dazu kommt, dass das Lernen zuhause sich stark von den individualisierten Unterrichtsformaten unterscheidet, die diese Gruppe gewohnt ist: Sie benötigt mehr Motivation, mehr Begleitung und Aufmerksamkeit durch die Lehrkraft und umso mehr das Gefühl, in einer Gemeinschaft zu lernen – Faktoren, die beim Lernen zuhause im Frühjahr 2020 weitgehend weggefallen sind.
Kinder mit Förderbedarf lernten weniger
Wie auch aus anderen Befragungen zum Lernen zuhause während der Schulschließung hervorging, war die Zeitspanne, die Schülerinnen und Schüler mit schulischen Lerninhalten verbrachten, sehr unterschiedlich. Dieses Bild zeigt sich auch in der INSIDE-Befragung. Es gibt sowohl Kinder, die berichteten, in dieser Zeit deutlich weniger für die Schule gearbeitet zu haben, als auch solche, die einen viel größeren Zeitaufwand als zu normalen Schulzeiten angaben. Beim Vergleich der Gruppen mit und ohne Förderbedarfe zeigen sich statistisch bedeutsame Unterschiede. 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen gaben an, viel weniger gearbeitet zu haben. Bei den Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Förderbedarfe machten diese Aussage nur 11 Prozent. Noch deutlicher wird dieser Unterschied bei der Frage, in welchem Umfang die Aufgaben bearbeitet wurden, die von der Schule zur Verfügung gestellt wurden. 17 Prozent der Kinder mit Förderbedarfen gaben hier „keine“ oder „wenig“ an (im Vergleich zu 8 Prozent bei der Gruppe ohne Förderbedarfe). Bei der Arbeitsumgebung ist auffällig, dass Kinder mit Förderbedarfen weniger oft einen Zugang zu Druckern hatte, aber häufiger von Personen berichteten, die auf die Erledigung der Aufgaben achteten.
Schulschließung beeinflusst auch Wohlbefinden
Die Forschenden fragten die Kinder auch, wie es ihnen während der ersten Schulschließung insgesamt gegangen ist. Die Antworten ergeben ein heterogenes Bild. Auffällig ist, dass Kinder mit Förderbedarfen signifikant häufiger extreme Empfindungen („überhaupt nicht gut“ oder „sehr gut“) angaben.
Insgesamt sehen die Forscherinnen Gresch und Schmitt Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarfen beim Lernen zuhause benachteiligt. „Sie hatten zusätzlich zu den bestehenden Herausforderungen teilweise ungünstigere Lernbedingungen und verbrachten auch weniger Zeit mit Lernen. Wir sehen hier die Befunde anderer Studien bestätigt, dass Ungleichheit durch fehlenden Präsenzunterricht weiter verstärkt wird“, so Cornelia Gresch.
Publikation
Gresch, C., Schmitt, M. (2021): Lernen und Wohlergehen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogische Förderbedarfe während der ersten Schulschließung 2020. (LIfBi Forschung kompakt No. 3). Leibniz-Institut für Bildungsverläufe. https://doi.org/10.5157/LIfBi:Bericht:03:INSIDE:1.0