Veröffentlicht am Februar 24, 2019

Berufliche Orientierung sollte immer präventiv und vor allem stärken-orientiert sein. So zumindest sind unsere Programme der Studien- und Berufsorientierung in Düsseldorf und Gelsenkirchen ausgerichtet. Aber: Was kann das bedeuten: Stärkenorientierung?

Immer wieder treffe ich Menschen, die nicht gerne zur Arbeit gehen. Immer wieder entdecke ich Posts auf Instagram wo mittwochs das „Bergfest“ gefeiert wird, wo man sich am Donnerstag schon auf das Wochenende freut, am Freitag dem nahenden Wochenende entgegen fiebert und am Sonntag Abend schon wieder jammert, weil morgen Montag ist.

Ich denke dann immer: sind die arm dran! Es scheint ein unglückliches Leben zu sein, zu arbeiten in einem Job, den man nicht liebt oder sogar hasst? Wie kann es soweit kommen, frage ich mich dann immer?

Möglichkeiten über Möglichkeiten

Es gibt mittlerweile sehr vielfältige Möglichkeiten in der Schule, in der Freizeit, im Verein, der Kirchengemeinde, im Urlaub herauszufinden, was man gerne mag. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich weiterzubilden in Dingen, die man wirklich liebt, um später damit vielleicht auch seinen Lebensunterhalt zu verdienen oder um zumindest in „seinem Element zu sein“.

Ich kenne eine Stewardess, die sich zur Personaltrainerin hat weiterbilden lassen. Einen Bankangestellten, der Karriere macht als Coach und Mediator. Den Angestellten, der seinen C-Orgelschein nachholt, um am Wochenende Gottesdienste musikalisch zu begleitet. Den Kommunikationsprofi, der in seiner Freizeit Sterbende und Trauernde begleitet. Diese Liste könnte ich weiterführen. Warum aber sind viele Menschen mit ihrem Leben und Beruf unzufrieden?

Wenn wir mit Jugendlichen und Erwachsenen über ihre Talente sprechen, tauchen schnell viele Fragen und Unsicherheiten auf:

  • Ich habe keine Talente. Das was ich kann, dass kann doch jeder!
  • Mich kann nichts wirklich begeistern!
  • Was ist, wenn ich etwas liebe, was ich nicht gut kann?
  • Was ist, wenn ich etwas gut kann, es aber nicht mag?
  • Woher weiß ich, ob ich „mein Element“ gefunden habe?

Auf diese Fragen gibt es natürlich Antwort. Um diese zu finden, braucht man Geduld, muss sich fleißig auf die Suche begeben, ausprobieren und sicherlich braucht man auch den einen oder anderen Unterstützer (keine Ratschlag-Geber, sondern Impuls-Geber).

Auf der einen Seite gibt es diese Unsicherheiten. Auf der anderen Seite fehlt die Transparenz, was man nach der Schule beruflich machen könnte. Warum? Weil es zuviele Möglichkeiten gibt! Zuviele? Kann das sein? Ich bin der festen Überzeugung: ja. Bei über 350 dualen Ausbildungsberufen, rund 18.000 Studiengängen an deutschen Hochschulen und in Unternehmen (Duale Studiengänge), sind Kinder, Eltern und Lehrende in der Regel total überfordert. Deshalb braucht es in der Beruflichen Orientierung mehr Transparenz.

Ich kann nur lieben, was ich kenne

Das geschieht durch Praxisphasen in Form von Praktika (von einem Tag (in NRW gibts z.B. die Berufsfelderkundungen) über 2-3 Wochen bis hin zu einem ganzen Jahr), durch praxisnahe Workshops und Instrumente wie dem Berufswahlpass (wenn man ihn mit Köpfen in Schule regelmäßig nutzt und einsetzt). „Ich kann nur lieben, was ich kenne“, deshalb: muss ich 1.) ausprobieren, 2.) ausprobieren und 3.) ausprobieren. Tag für Tag zocken am Computer strukturiert zwar den Tag und schult die eine oder andere Fähigkeit, aber zu viel davon ist dann am Ende schlicht zu viel davon. Besser raus und Dinge ausprobieren: jobben, ein neues Hobby, einen Trainerschein machen, den Rettungsschwimmer bei der DLRG. Was weiß ich: Möglichkeiten gibt es jedenfalls genug.

Wenn ich vielleicht nicht weiß, was ich gut kann, liegt es vielleicht an fehlenden Gelegenheiten. Wenn ich nichts ausprobiere, weiß ich auch nicht, ob ich ein Talent dafür habe.

Dabei ist es auch immer wieder wichtig Dinge auszuprobieren, die man noch nicht kennt. Es gibt Schüler, die ihr Praktikum im Krankenhaus machen, weil ihre Mutter Krankenschwester ist und sich dadurch das Bewerbungsverfahren abkürzen lässt. Oder sie gehen in die Kanzlei des Onkels. Das ist selten der richtige Weg. Wenn ich noch nie auf einem Pferd saß – woher kann ich wissen, ob ich vielleicht ein guter Reiter werden könnte. Wenn ich noch nie in einer Tischlerei war – woher kann ich wissen, ob ich nicht handwerklich begabt bin und ein guter Tischler werden könnte?

Nähern wir uns der Thematik was es heißen kann, in seinem Element zu sein.

(Fortsetzung folgt.)


Veröffentlicht am Februar 20, 2019

Sprechen wir von Fachkräftemangel, dann meinen wir in der Regel fehlende MINT-Fachkräfte in der Industrie und im Handwerk, in unseren Krankenhäusern und Seniorenheimen.

Ähnlich katastrophal aber ist die Situation an unseren Schulen. Überall fehlen uns die Lehrkräfte: grundsätzlich eigentlich, aber vor allem auch in unseren Grundschulen und in den MINT- und naturwissenschaftlichen Fächern. Lediglich die Gymnasien dürften weniger Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen.

Laut Deutschem Lehrerverband fehlen fast 40 000 Pädagogen, Tausende Stellen mussten im Herbst notdürftig mit Seiteneinsteigern, Pensionären und Studenten besetzt werden.

Auch in NRW ist das Problem seit Jahren gravierend. NRW-Schulministerin Y. Gebauer hat deshalb ein Maßnahmenpaket verabschiedet. Beispiel Seiteneinsteiger: Lehrer für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (Sek II) können sich auf eine Stelle an einer Schule der Sekundarstufe I bewerben und werden nach einer erfolgreichen Bewerbung sofort in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis übernommen. Doch hier belegt eine Studie der Bertelsmann Stiftung beispielhaft für Berliner Grundschulen, dass solche Seiteneinsteiger ausschließlich an sogenannten Brennpunktschulen eingesetzt werden. Das zeigt, dass auch innerhalb einer Schulform ausgerechnet jene Schüler am meisten vom Lehrermangel betroffen sind, die guten Unterricht besonders nötig hätten.

Was hat NRW-Schulministerin Gebauer noch vor? Es soll eine erweiterte Möglichkeiten zur Verbeamtung und es soll zusätzliche Stellen für Oberstufenlehrkräfte an Gesamtschulen geben. Künftig können sich auch Absolventinnen und Absolventen eines Masterstudiengangs an Fachhochschulen auf eine Lehrerstelle bewerben. Bisher ist für den Seiteneinstieg ein Universitätsabschluss erforderlich. Zudem sollen Pensionäre und Quereinsteiger aus der Wirtschaft gewonnen werden.

Viele Ideen, doch die wirklichen Impulse fehlen. Der Beruf des Lehrers müsste attraktiver gestaltet werden, dies fängt bei der Entlohnung an und hört bei der Organisation des Unterrichts auf.

Eine Entlastung des Lehrers sollte abseits vom Unterricht erfolgen. Nehmen wir als Beispiel die Studien- und Berufsorientierung. Selbstredend bin ich ein Verfechter für eine flächendeckende und fächerübergreifende „Berufliche Orientierung“. Bereits vor über zehn Jahren organisierten wir Teamtage in Düsseldorfer Schulen, um die Berufs- und Studienorientierung strukturiert in den Schulalltag zu implementierten. Vor über 20 Jahren bereits gründeten wir in Düsseldorf und Ostwestfalen-Lippe das Berufswahlsiegel (mittlerweile das größte deutsche Schulprojekt; www.netzwerk-berufswahlsiegel.de). Jede Lehrkraft sollte immer auch im Kopf haben ihre Schüler auf das Leben, auf die Berufswelt vorzubereiten.

Letztendlich aber sollten Lehrer auch unterrichten :-)). Insofern benötigen sie vor allem im Bereich der „Beruflichen Orientierung“ Unterstützung und Entlastung von außen. Der Trend geht aber in die andere Richtung. Vor allem in NRW wachsen die so genannten „Standardelemente“ in der Studien- und Berufsorientierung, das heißt: Berufliche Orientierung wird mehr und mehr zur Pflicht und weniger zur Kür. Pflichtelemente aber MÜSSEN von den Lehrern durchgeführt werden, was wiederum bedeutet, dass die Lehrkräfte auch an dieser Stelle immer mehr in die Pflicht eingebunden werden und weniger von außen entlastet und unterstützt werden können.

Ob diese Vorgehensweise letztendlich die Attraktivität des Lehrerberufs fördert muss an dieser Stelle angezweifelt werden. In der Süddeutschen Zeitung wird eine Lehrerin wie folgt zitiert: „Wir spüren den Lehrermangel schon länger, so richtig eng wurde es dann aber im vergangenen Frühjahr. Da sind innerhalb von vier Monaten vier Vollzeit-Lehrerinnen ausgefallen, durch Schwangerschaften mit sofortigem Arbeitsverbot. Plötzlich standen eine Inklusionsklasse, eine Abschlussklasse und zwei weitere Klassen ohne Klassenlehrerin da.“ Die Not an unseren Schulen ist groß. Pragmatische und praxisnahe Lösungen sind nun gefragt, denn am Ende geht es immer um unsere Kinder.


Veröffentlicht am Februar 2, 2019

Deutschland wird immer wieder dafür kritisiert, dass der Bildungserfolg entscheidend abhängt vom Elternhaus und dem sozialen Umfeld. NRW-Bildungsministerin Gebauer will hier ansetzen und ernannte die ersten 35 Talentschulen. Insgesamt sollen es einmal 60 werden, die allesamt in benachteiligten Stadtgebieten platziert sind.

Jede Talentschule soll ein individuelles pädagogisches Konzept umsetzen und bekommt 2.500 EUR für Fortbildungen. Außerdem gibts 400 zusätzliche Stellen für Lehrkräfte und Sozialarbeiter. Was den Schulen nicht „schmecken wird“: Die Stellen sollen unter anderem mit Menschen besetzt werden, die in einem Unternehmen der Stadt freigesetzt worden sind (ob dies eine Vorgabe des Arbeitsministers war?). Also: Quereinsteiger, zunächst ohne pädagogischem Hintergrund. So etwas mögen „richtige Lehrer“ nicht. Sie können sich allerdings auch mit Quereinsteigern anfreunden, wenn es pädagogische Weiterbildungen gibt. Ich kenne einige Quereinsteiger: sie alle sind motiviert und engagiert und bieten ihren Schülern viel Wissen und Hintergrund. Und eines muss klar sein: vor allem in den Bereichen Technik, Informatik, Naturwissenschaften herrscht Fachkräftemangel, der zukünftig nur noch mit Quereinsteigern zufüllen sein wird. Aber, dies ist ein neues, anderes Thema.

Die Idee der Talentschulen mag grundsätzlich eine gute Idee sein, aber viele geplanten Module sind nicht abhängig von Geld und Stellen, sondern von externen Institutionen, die ohne neue Ressourcen zu bekommen, unterstützen sollen. Beispielsweise sollen sich die Schulen vernetzen mit Unternehmen und Stiftungen (das aber könnten sie heute schon, wenn sie den Nutzen für sich und ihre Schulen erkennen würden).

Berufskolleg sollen ihre Berufsfelderkundungen ausbauen. Diese BFEs gibts bereits in jeder Stadt, werden aber von den Schulen sehr unterschiedlich genutzt. Im schulischen Übergangsmanagement sind diese BFEs platziert in der 8. Klasse, nach der Potenzialanalyse und vor dem fokussierten Praktikum in der 9. Klasse. Sie finden in Unternehmen statt und dauern bis zu sechs Stunden. Schüler sollen sich diese nach ihren Interessen und Fähigkeiten aussuchen – das gelingt aber selten. Meistens geben die Schulen Unternehmen vor, in denen die Schüler BFEs zu absolvieren haben oder Eltern besorgen ihren Kindern Plätze – hier sind nicht die Talente der Kinder gefragt, sondern die Kontakte der Eltern. Aber, es gibt auch gute Beispiele, wo es besser läuft, z.B. in Düsseldorf und Gelsenkirchen.

Leider befinden sich die Zahlen der BFEs auf dem Rückmarsch, weil die Unternehmen wenig Nutzen darin erkennen, sich mit 13jährigen Pubertieren sechs Stunden auseinander setzen zu müssen. Allerdings sind BFEs eine sehr gute Möglichkeiten, erste Einsichten in die Arbeit- und Berufswelt zu bekommen. Doch, auch dies ist ein neues, anderes Thema.

Zurück zu den Talentschulen. Kritiker der Talentschulen verstehen nicht, warum nur 60 Schulen in NRW gestärkt werden und andere nicht. Schulen, die eine Förderung nötig hätten, bekämen nichts aus dem Topf, schimpft der NRW-Chef der Landesschülervertretung. Auch die SPD hält nichts von den Talentschulen, das mag aber auch Politik sein bei einer CDU/FDP-Regierung. Der Lehrerverband lehrer nrw begrüßt hingegen die Idee, der man eine Chance geben sollte.

149 Bewerbungen gab es für diese erste Runde, eine „interessant“ besetzte Jury suchte die ersten 35 Schulen aus: ein Koch, der auch TV-Moderator ist, ein Professor für Pädagogik, ein Unternehmer und eine Schülerin, der Rektor einer Fachhochschule, die Gleichstellungsbeauftragte einer Hochschule, ein pensionierter Lehrer, mehrere Bildungsforscher, noch eine Professorin, diesmal für Fachdidaktik, noch ein Professor mit dem Schwerpunkt Integrationsforschung, ein ehemaliger NRW-Sportminister. Getrost kann man glauben, dass die meisten dieser Jurymitglieder keine direkten und praktischen Einblicke in unsere NRW-Schulen haben. Warum wurden nicht Menschen eingeladen, die oft in Schulen sind? Und Menschen, die zu den internen und externen Zielgruppen von Schule gehören (z.B. Eltern, Ausbildungsleiter, lokale Bildungsexperten)?

Man sollte den Talentschulen auf jeden Fall eine Chance geben. Mit den ausgesuchten Schulen in Gelsenkirchen stehe ich im Kontakt. Dort ist die Nachricht zwar bereits angekommen, aber die Schulen haben noch keine Info, wie es nach den Sommerferien los gehen wird. Vor allem bleibt die Frage, wo die vielen neuen Lehrer herkommen sollen, denn in den entscheidenen Fächern ist der Markt leergefegt.

Ich denke: ohne die externen Netzwerken (Unternehmerverbände, Netzwerk Schule/Wirtschaft, Bildungsstiftungen etc.) werden es auch die neuen Talentschulen nicht leicht haben. Und eine Chance sollten sie bekommen, denn: es geht immer um unsere Kinder!

Infos zu den Talentschulen gibts hier: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulentwicklung/Talentschulen/index.html