Nach dem vergangenen BLOG-Beitrag zum Thema „Digitales Lernen“ strömte es plötzlich in vielen anderen Medien. Auch Axel Plünnecke vom IW Köln hat sich jetzt gemeldet mit einem sehr spannenden Beitrag. Er schreibt: Das Statistische Bundesamt hat neue Zahlen veröffentlicht, die alte Probleme aufzeigen: Noch immer ist digitales Lernen an den Schulen in Deutschland die Ausnahme. Weitere Studien machen deutlich: Es fehlt an Kompetenzen der Lehrkräfte, oft gibt es nicht einmal WLAN für Schüler und Lehrer. Das Bildungssystem muss bei der Digitalisierung endlich seine Hausaufgaben machen.

Digitales Lernen ist nach der schrittweisen Wiedereröffnung der Schulen wichtiger denn je, um Bildung zu ermöglichen und der Gefahr einer zunehmenden Chancengleichheit an Schulen entgegenzuwirken. 

Die Defizite im deutschen Bildungssystem sind allerdings nicht erst seit den heute veröffentlichten Zahlen bekannt. Auch die internationalen Vergleichsstudie „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS-2018) hat sich den Problemen gewidmet: Demnach landen deutsche Schüler bei den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen nur im Mittelfeld und weit hinter dem Spitzenreiter Dänemark. Nur rund 23 Prozent der Lehrer, die Achtklässler unterrichten, setzen laut ICILS-2018 täglich digitale Medien im Unterricht ein. Deutschland liegt damit deutlich unter dem internationalen Mittelwert von rund 48 Prozent.

Nur etwa 26 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der achten Klasse besuchen eine Schule, in der sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schülerinnen und Schüler ein WLAN-Zugang verfügbar ist – der schlechteste Wert unter den teilnehmenden Ländern. Zum Vergleich: Der EU-Schnitt liegt bei rund 68 Prozent, Dänemark erreicht sogar eine Quote von 100 Prozent.

Nur selten digitale Geräte im Unterricht

Auch in der PISA-Erhebung aus dem Jahr 2018 wurden die Schülerinnen und Schüler gefragt, wie häufig digitale Geräte in verschiedenen Unterrichtsstunden eingesetzt werden. Demnach gaben rund 65 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland an, dass sowohl in Deutsch als auch in Mathematik in einer typischen Schulwoche keine digitalen Geräte zum Einsatz kommen. In den Naturwissenschaften werden sie etwas häufiger eingesetzt. In Dänemark ergibt sich ein vollkommen anderes Bild – der Einsatz digitaler Geräte war dort bereits vor der Coronakrise Standard.  

Die aktuellen Studien zeigen auch, dass nur ein geringer Teil der Lehrkräfte an digitalisierungsbezogenen Fortbildungen teilnimmt und nur sehr wenige Lehrer Unterrichtshospitationen zum Einsatz digitaler Medien machen. Das Deutsche Schulportal hat im April dieses Jahres Lehrer befragt – das Ergebnis: Esfehlt den Lehrern an Kompetenzen im Umgang mit digitalen Lernformaten, aber auch an technischer Ausstattung.

Mehr Fort- und Weiterbildungen für Lehrer

Um die Digitalisierung an den Schulen voranzubringen, sollten Lehrer bei der Entwicklung von digitalen Lehr- und Lernkonzepten unterstützt werden. Digitales Lernen ist in der Ausbildung zu verankern. Fort- und Weiterbildungen sind deutlich auszuweiten. Die Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien ist weiter zu verbessern: In allen Schulen sollten WLAN und digitale Endgeräte für Lehrkräfte und Schüler verfügbar sein. Außerdem fehlt zusätzliches IT-Personal für die IT-Administration – und schnelles Internet zuhause. Der Staat sollte hierzu zusätzliche Mittel über den Digitalpakt hinaus zur Verfügung stellen.

Quelle: IW Köln

„Dass Schüler und Lehrer sich gegenwärtig nur dann digital vernetzen können, wenn sich ein Förderverein, ein Landrat oder eine Schulsenatorin für eine zeitgemäße IT-Infrastruktur eingesetzt haben, wirft dunkle Schatten auf die „Bildungsrepublik Deutschland“. Die Lehrkräfte müssen die Lernplattformen aus den Nullerjahren ebenso als Ausdruck fehlender Wertschätzung begreifen wie die Generation der „Digital Natives“. Insofern ist es erfreulich, dass die Zeiten des „Corona-Lernens“ das E-Learning insgesamt beschleunigen.“, schrieb unlängst Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Uni Frankfurt und dort Direktor der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung, in. der Frankfurter Rundschau (FR).

Diese Meinung ist aber nur die EINE Wahrheit. Es stimmt, das Corona auf die Mängel im Schulsystem aufmerksam gemacht hat. Es stimmt aber auch, dass das E-Learning durch die Corona-Krise beschleunigt. wird Alte Modelle wie Moodle werden neugelebt, andere Plattformen wie Iserv und lo-net werden aktiviert. Und: Es gibt Lehrkräfte, die probieren sich aus, entwickeln und nutzen neue Online-Lernmethoden (z.B. Padlet) und treffen sich mit den Kids auf zoom. Und es gibt Lehrkräfte, die sich echt schwer tun mit dem digitalen Lernen. Aber, woher sollen sie es auch sollen? Gefördert wurde dieses neue Denken vor Corona nicht.

Erst seit Corona gibt es dieses digitale Lernen und die Zeiten von Präsenz- und Distanzlernen wird es noch lange geben. Was also tun? Erst einmal müssen die versprochenen 5,5 Milliarden vom Digitalpakt in den einzelnen Schulen ankommen. Viele Schulleiter*innen belächeln solche Meldungen über einen möglichen Geldsegen. Auf der anderen Seite werden aber andere Probleme dadurch nicht gelöst: es fehlt Personal und es fehlt Geld für Infrastruktur. „2025 werden allein an Grundschulen hierzulande mindestens 15 000 Lehrkräfte fehlen. Und schon jetzt sind die Betreuungsschlüssel an allen Schulformen ausbaufähig – erst recht, wenn man sich an erfolgreichen Bildungsnationen wie Finnland oder Schweden orientiert. Während die Stadtstaaten Berlin und Hamburg im Schnitt jeweils 10.000 Euro pro Schüler ausgeben, sind es in NRW nur 6800 Euro.“, heißt es in der FR.

Mir stellt sich aber auch eine ganz andere Frage: Wie digital muss Schule eigentlich sein? Wir haben unsere Berufliche Orientierung schnell und effektiv auf Distanzlernen umgestellt, so dass wir beide Bereiche gut beherrschen, also Distanzlernen und Präsenzphasen in den Schulen und an externen Lernorten. Dabei merken wir in der Zusammenarbeit mit den Schulen, dass viele Schüler*innen kaum erreichbar sind durch digitale Lernangebote. Eine Lehrerin eines Gymnasiums nahe Mönchengladbach berichtete mir, wenn sie ein zoom-Meeting anbieten würde, wären von 30 Schüler*innen knapp 10 dabei. Und in den Schulen, in denen es viele „Hartz 4- Kinder“ gibt, sieht die Quote noch schlechter aus: viele Haushalte haben keinen Computer und das Jobcenter finanziert auch keinen PC zuhause für die Kids. Hier müsste also (theoretisch) die Schule dafür Sorgen, dass diese Kids entsprechend versorgt sind. Auch dies belächeln die Schulleiter*innen. Aber, vielleicht kommen die 5,5 Milliarden ja doch noch an?!

Klar wird uns aber auch, dass Präsenzlernen oftmals effektiver ist. Dies berichten uns die Lehrer*innen. Und wir spüren dies auch bei unseren Angeboten der Beruflichen Orientierung. Eine Lerngruppe zieht alle Teilnehmer*innen indirekt und direkt mit und „durch“. Zuhause alleine zu lernen oder sich mit der Arbeits- und Berufswelt zu beschäftigen erfordert sehr viel Selbstmotivation und Selbstmanagement. Ganz zu schweigen vom „lernen zu lernen“ – das haben viele Schüler*innen bis heute nicht gelernt.

Tim Engartner schließt mit den Worten: „Zugleich sollte die Tatsache, dass vielen Schülerinnen und Schülern durch das derzeitige Homeschooling der Zugang zu einer warmen Mahlzeit, zu einem gewaltfreien Lernumfeld sowie zu vertrauten Kontaktpersonen genommen wurde, Anlass sein, unser Schulsystem bildungs-, sozial- und steuerpolitisch zu reformieren.“

Es gibt also viel zu tun ….

Die Probleme und Defizite von Schulkindern werden Tag für Tag größer. Richtiger Unterricht findet nicht statt und viele Kinder können nicht ausreichend Unterstützung von ihren Eltern bekommen. Die Folge: gravierende Auswirkungen auf die Bildungsgerechtigkeit. Umso wichtiger ist jetzt die Schulöffnung – vorausgesetzt, sie ist gut vorbereitet., sagt AXEL PLÜNNECKE vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).

In Puncto Bildung geht es in Deutschland ungerecht zu: Wie gut oder schlecht ein Kind in der Schule ist, hängt noch immer zu sehr vom Bildungsgrad der Eltern ab. IW-Berechnungen mit PISA-Daten zeigen, dass höher gebildete Eltern ihre Kinder öfter bei Schulaufgaben unterstützen als weniger gebildete Eltern. Die Corona-Krise verschärft dieses Problem seit Wochen und wird es, Stand jetzt, auch weiterhin noch einige Zeit tun. 

Die viel beschworene Alternative, den Schulsoff über digitale Lerntools, Erklärvideos und Co. zu erlernen, schafft eine weitere Quelle der Ungerechtigkeit. Nicht in jedem Haushalt gibt es die nötigen Endgeräte wie Computer oder Tablets und auch die digitalen Kompetenzen unterscheiden sich je nach sozioökonomischem Hintergrund stark. Schnell sind viele Kinder, Jugendliche oder Eltern überfordert. Genau wie das Schulsystem: Bisher fehlt es an flächendeckenden digitalen Unterrichtskonzepten.

Eine gut vorbereitete, schrittweise Schulöffnung ist daher umso wichtiger. Zunächst muss für ausreichend Hygiene gesorgt werden, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Besonders auf Vorerkrankte und Ältere ab 60 muss geachtet werden: Mehr als 100.000 Lehrkräfte gehören zur Risikogruppe. Sie müssen sich besonders schützen und sollten keine Präsenzpflicht haben. Vielmehr könnten diese Lehrer den digitalen Unterricht weiter vorantreiben, Lehrmaterialien erstellen oder einzelnen Schülern individuelle Fernbetreuung anbieten. Denn auch viele Kinder werden aufgrund vorerkrankter Eltern nicht zur Schule gehen können. „Jetzt ist der Bund gefragt“, sagt IW-Bildungsexperte Axel Plünnecke. „Was die Schulen und Kinder brauchen ist ein großes Hilfspaket.“ Ein erster Schritt sei etwa die Bereitstellung von Leihgeräten für den digitalen Unterricht. 

Quelle: www.iwkoeln.de