Zwischen Aushilfsjob und Ausbildung – Warum viele Jugendliche den direkten Weg ins Berufsleben scheuen
Die duale Ausbildung gilt weiterhin als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und ist bei jungen Menschen beliebt – zumindest auf dem Papier. Doch ein genauerer Blick zeigt: Besonders Jugendliche mit niedriger Schulbildung wählen nach dem Abschluss oft einen anderen Weg – sie steigen direkt in ungelernte Tätigkeiten ein. Was auf den ersten Blick wie ein pragmatischer Start ins Berufsleben wirken mag, kann sich langfristig zu einem echten Risiko entwickeln – für die Betroffenen ebenso wie für den Arbeitsmarkt.
Direkt ins Geldverdienen statt ins Lernen?
Laut der aktuellen Jugendbefragung „Ausbildungsperspektiven 2025“ möchte jede:r Fünfte nach dem Schulabschluss zunächst arbeiten, anstatt eine Ausbildung zu beginnen. Besonders stark verbreitet ist dieser Wunsch bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung. Über ein Viertel der Befragten sieht in der Möglichkeit, direkt zu arbeiten, einen entscheidenden Grund gegen eine Ausbildung.
Diese Entscheidung fällt nicht zwangsläufig aus Überzeugung. Viele der jungen Menschen fühlen sich schlichtweg nicht ausbildungsreif: Sie scheitern an Bewerbungen, glauben, den schulischen Anforderungen nicht gewachsen zu sein oder finden sich im Dickicht der Ausbildungsangebote nicht zurecht. Die Folge: Sie schlagen den Weg des geringsten Widerstands ein – rein in die Aushilfstätigkeit.
Ein Weg mit Folgen
Das mag kurzfristig Einkommen bringen, bedeutet langfristig aber oft Prekarität. Ohne Berufsabschluss sind die Risiken hoch: Arbeitslosigkeit, geringe Löhne, kaum Aufstiegschancen. Schon heute haben rund 2,86 Millionen junge Erwachsene in Deutschland keinen Berufsabschluss. Parallel dazu fehlen dem Arbeitsmarkt über eine halbe Million Fachkräfte – ein Missverhältnis, das sich angesichts des demografischen Wandels noch verschärfen wird.
„Sich beruflich zu qualifizieren, muss attraktiver sein als ungelernt zu arbeiten“, fordert Helen Renk, Expertin für berufliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung. „Nur so kann es gelingen, junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen – und sie langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“
Was hilft: Orientierung und echte Perspektiven
Die Befragung zeigt, dass Jugendliche mit niedriger Schulbildung besonders stark von persönlichen und praxisnahen Unterstützungsangeboten profitieren könnten. Viele wünschen sich konkrete Hilfe beim Bewerbungsprozess oder eine Beratung, die wirklich auf ihre Lebenssituation eingeht. Auch Berater:innen außerhalb des Schulsystems – etwa von Jugendberufshilfen oder der Arbeitsagentur – spielen hier eine zentrale Rolle.
Jugendliche mit höherer Schulbildung wiederum beklagen eher den Mangel an Orientierung angesichts der Vielzahl an Ausbildungswegen. Auch hier braucht es mehr persönliche Beratung und niedrigschwellige Angebote an Schulen.
Ausbildung bleibt gefragt – trotz Unsicherheiten
Erfreulich ist: Grundsätzlich bleibt die Ausbildung beliebt. 43 Prozent der Jugendlichen streben diesen Weg an – mehr als ein Studium. Auch unter den Schüler:innen mit niedriger Schulbildung zeigen sich fast neun von zehn offen für eine Ausbildung. Gleichzeitig glauben jedoch 35 Prozent von ihnen nicht, dass sie einen Platz bekommen werden. Ein klares Alarmsignal – denn diese Unsicherheit mündet oft in die Entscheidung, zunächst zu jobben, statt langfristig in die eigene berufliche Zukunft zu investieren.
Aushilfsjob statt Ausbildung – Eine stille Notlage
Wenn junge Menschen lieber ungelernt arbeiten als eine Ausbildung zu beginnen, ist das kein individuelles Problem – sondern ein strukturelles. Es zeigt, dass viele Jugendliche am Übergang von der Schule in den Beruf den Halt verlieren. Fehlende Begleitung, Überforderung beim Bewerben, Unsicherheit über die eigenen Fähigkeiten: All das führt dazu, dass Chancen auf dem Ausbildungsmarkt ungenutzt bleiben.
Dabei haben gerade diese Jugendlichen enormes Potenzial – sie brauchen nur die richtige Unterstützung. Ausbildungscoaches, mehr Berufsorientierung an Schulen, niedrigschwellige Beratung: All das kostet Geld, aber kein Vergleich zu dem, was ein verpasster Berufsabschluss langfristig kostet – sozial wie wirtschaftlich. Wir müssen jetzt handeln – sonst wächst uns die Gruppe der Ungelernten weiter davon.
CHRISTOPH SOCHART
Kompetenzzentrum Berufliche Orientierung